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SCHULDGEFÜHLE

Ich fühle mich schuldig am Tod unseres Kindes, frage mich ständig: "Warum habe ich nicht....." (10.5.04)

 

Antwort von Jana* (betroffene Mutter)

    ich weiss nicht, ob du dich mit dem leben nach dem tod oder mit spiritualität auseinandersetzst? für mich ist es so, dass ich glaube, dass nichts einfach so passieren kann. nach dem tod meines mannes und sohnes, war ich – nach dem abebnen des allerersten schocks – ständig damit beschäftigt, mir an allem die schuld zu geben. klar, die leute sagten, dass ich keine schuld hätte, aber so richtig glauben konnte ich es nicht. und natürlich war da neben den schuldgefühlen auch viel wut (neben der ganzen trauer...).
     irgendwann habe ich dann akzeptiert, dass ich schuld anders anschauen muss. grundsätzlich glaube ich nicht mehr an schuld. mein spirituelles weltbild hat bei mir die wirkung, dass ich an zusammenhänge glaube, an folgen, aber die sind oft nicht so einfach durchschaubar. aber ich bin mittlerweile sehr überzeugt, dass kein mensch sterben kann, wenn nicht seine zeit zu gehen von ihm akzeptiert ist. ich bin davon überezeugt, dass die seelen ewig sind und dass der aufenthalt auf der erde nur ein kleiner bruchteil eines langen seelenlebens ist, eine entwicklung. und dass der besuch meines sohnes auf der erde nicht mit dem tod aufhört.
    noch im trauerumwandlungsseminar bei dr. jorgos canakais und vorallem zuvor war in mir absolut keine motivation weiter zu leben. ich konnte doch nicht glücklich sein ohne lars! ich musste doch bei ihm sein, damit er nicht alleine ist.... als ich dann auf einer traumreise ihm und meinem mann begegnete, war ich sehr froh, dass ich mit ihnen reden konnte. mein mann bat mich, ihm zu verzeihen, was ich dann auch schritt für schritt tun konnte. aber die wichtigste aussage war die von lars: er bat mich, ihm nicht zu folgen, sondern hier auf der erde gut und glücklich zu leben! zuerst war das für mich ein beinahe zynisches ansinnen, wie du dir sicher vorstellen kannst! dann jedoch spürte ich, wie ich – weil ich ‚gesehen’ hatte, dass es ihm sehr gut ging und er mir das auch gesagt hatte – mich langsam wieder dem leben zu zuwenden begann. es war für mich sehr überraschend, dass das leben plötzlich seine bitterkeit zu verlieren begann. es ist für mich einfach so traurig, dass ich das nicht anders – vorher – begriffen hatte. 
    als ich den tod von lars akzeptiert hatte (immer wieder ein bisschen mehr) begann auch die trauer sich zu verändern: da ist noch immer grosses vermissen, trauer, den verlust der nähe (berührung, zusammen sein), aber der geschmack der trauer ist anders geworden. ich hätte nicht gedacht, dass ich mal so fühlen könnte. seltsamerweise habe ich aber nun auch wieder meine ganze gefühlspalette wiedergefunden, die ich im schock nach dem unglück eingefroren hatte. das weinen war wie versiegt und das lachen sowieso. er allmählich kamen dann – nach dem seminar – die tiefen gefühle wieder zurück. erst als ich sie zuliess und auch den schmerz wieder zuliess (ich war wie gefroren gewesen irgendwie), begann ich wieder durchzuatmen. begann, mich vom gedanken an schuld zu lösen und eben auch mir zu verzeihen. ich glaube, einer der grössten göttlichen geschenke ist die eigenverantwortung! wie gehe ich mit den leidvollen situationen in meinem leben um? mit den freudvollen? bringen sie mich zu fall? auch okay... aber: stehe ich wieder auf? packe ich sie als chancen? ich will dir mut machen, dich all diesen themen zu stellen.
    ich weiss nicht, ob dies in bezug auf deine schuldgefühle etwas hilft? sind die schuldgefühle nur in euch, oder haben euch auch andere die schuld für den tod eures kindes gegeben? (verwandte?)                      

© by Jana/Pseudonym von dm

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Antwort von Frau Doris Wolf (Therapeutin und Trauerbegleiterin)

Zunächst einmal gehören Schuldgefühle zu einer Trauerreaktion dazu.  Der Tod ist für die meisten von uns so etwas Unfassbares und Bedrohliches, dass wir nach einer Erklärung suchen. Wenn wir eine Erklärung haben, quasi die Ursache dafür gefunden haben, bedeutet dies für uns, ein Stück Kontrolle wiedergewonnen zu haben. Gleichzeitig verursachen Schuldgefühle aber sehr viel Leid in uns. Schuldgefühle wirken sich auf unsere Stimmung, unser körperliches Befinden und unser Verhalten aus. Sie entstehen nicht durch die Situation als solche, sondern dadurch wie wir eine Situation, in unserem Fall, den Tod unseres Kindes interpretieren. Wenn wir uns sagen: „Ich bin schuld, ich hätte den Tod meines Kindes verhindern können“; “Ich hätte mehr oder anderes für mein Kind tun müssen“; „Ich hätte ihm Leid ersparen können“... dann fühlen wir uns schuldig, Meist machen wir dann die fehlerhafte Umkehrschlussfolgerung: „Wenn wir Schuldgefühle haben, bedeutet dies, dass wir wirklich schuld sind“. 

In Wirklichkeit sagen Schuldgefühle nur etwas über unsere Sichtweise aus. Wir haben also, was auch immer passiert ist, die Möglichkeit, unsere Schuldgefühle abzulegen. Schuldgefühle helfen uns nicht, den Tod unseres Kindes ungeschehen zu machen. Wir brauchen uns nicht mit Schuldgefühlen zu bestrafen.

Welche Möglichkeiten bleiben uns?

  •      Wir können unsere Schuldgefühle in Reuegefühle umwandeln, indem wir bestimmte Verhaltensweisen in der Vergangenheit als falsch ansehen, uns jedoch diese Fehler als menschliche Schwächen verzeihen. Wir fühlen uns dabei für unser Verhalten verantwortlich, aber geisseln uns nicht dafür. Wir behalten unsere Selbstachtung.

  •      Wir können uns überlegen, wie wir aus dem Fehler etwas lernen und das Wissen an andere weitergeben können - beispielsweise, indem wir dafür sorgen, dass andere Menschen diesen Fehler bei ihrem Kind vermeiden können. In einer Selbsthilfegruppe, auf unserer Homepage, im Internet allgemein oder in einem Buch können wir unsere Erfahrungen weitergeben. 

  •      Wir können lernen, zu akzeptieren, dass wir nicht in die Zukunft schauen  und nicht wider besseres Wissen handeln können. 

  •      Wir können unsere Bewertungen und Schlussfolgerungen genau überprüfen (vielleicht auch mit Hilfe eines Psychotherapeuten), ob wir für den Tod unseres Kindes verantwortlich sind, und wenn ja, zu welchem Anteil. Meist haben wir - wenn überhaupt- nur einen Einfluss auf das geschehen, aber keine Kontrolle.

  •      Wenn wir uns weiterhin die Schuld geben möchten, können wir uns ein Bussverhalten auferlegen, sodass wir uns eines Tages von der Schuld, die wir uns geben, befreit sind.

  •      Wir können zur Beichte gehen und Vergebung aus unserem Glauben beziehen.

Ich weiss, dass diese Vorschläge zunächst sehr theoretisch klingen mögen, aber die Veränderung unserer Einstellungen ist die einzige Chance, unsere Blick wieder auf die Zukunft richten zu können, und uns auf ein Leben nach dem Tod unseres Kindes einstellen zu können. Kein Mensch hat verdient, dass er sich sein Leben lang Fehler vorwirft und mit Schuldgefühlen geisselt. Besonders wenn wir noch weitere Kinder und einen Partner haben, müssen wir dafür sorgen, wieder Kraft für diese zu haben. In meinem Buch <Wenn Schuldgefühle zur Qual werden> gehe ich ganz ausführlich darauf ein, wie wir unsere Einstellungen verändern und uns verzeihen können.

© Dr. Doris Wolf, Dipl.-Psych.; 
e-mail: info@doriswolf ; www.doriswolf.de
siehe auch den Buchauszug der Autorin sowie das mit Ihr geführte Interview, sowie unter Links.