«Der Bund»: Der kleine Bund


Nicht ohne meinen Sohn

Samstag, 12. Juli 2003, 16.14 Uhr, Bahnhof Thun. Der Zug aus Interlaken fährt auf Perron 2 ein. Es ist Übergabetermin. Eine junge Frau erwartet ihren dreijähirgen Sohn. Vergeblich. Einige Stunden später sterben in Steffisburg bei einer Gasexplosion drei Menschen. Die junge Frau muss sich dem Unfassbaren stellen. Vom Überleben einer Familientragödie. Seiten 2 und 3

 

Leb wohl, kleiner Prinz
 
Er wollte sterben, aber nicht allein. Wenn die Verzweiflung so gross wird, dass ein Vater sein Kind in den Tod mitnimmt. Und damit einem anderen Menschen das Liebste nimmt. Doch das Leben muss weitergehen. Irgendwie. Die Geschichte einer Mutter, die ihr Kind verlor.

Regula Tanner (Text), Adrian Moser (Bilder)

Da lag es, das tote Kind, kleiner Körper hinter Glas. Es war ein Nachmittag im Juli 2003, 30 Grad am Schatten, schwül die Luft im Raum des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Bern. Doch Jana* fröstelte. Sie trat an die Scheibe, die Hände in jenen ihrer Freundinnen. Blickte auf Nils, auf drei Jahre Lebensinhalt. Da lag er, verbranntes Gesicht, struppiges Haar, am Abend seines dritten Geburtstags von der Wucht des explodierenden Gases in den Tod gerissen. Die Fahnder warteten draussen im Gang, gingen schweigend auf und ab. G., selber Vater zweier kleiner Kinder, hätte den Anblick des toten Jungen nicht ertragen.


November 1999. «Lass es wegmachen», sagte Claudio,«man sollte keine Kinder in diese schreckliche Welt setzen.» Da war sie wieder, seine Angst vor dem Leben. Doch Jana wollte das Kind, sie war im ersten Monat schwanger. «Dann ziehe ich es alleine auf», sagte Jana. «Nein, man darf dieses Leben keinem Kind zumuten», sagte Claudio. Diskussionen über Zukunft und Lebenssinn, sie zogen sich über Wochen hin. Irgendwann, es war Winter geworden, entschied sich Claudio für das Kind.

Von da an sorgte er für seine schwangere Frau, trug sie auf Händen, nahm ihr, als der Bauch rund und runder wurde, alles ab. Die Hausgeburt dauerte elf Stunden, es war ein dunstiger Sommertag. «NILS, ein grosses Geschenk!» hiess es auf der Geburtsanzeige. Gebastelte Sonnenblume auf blauem Papier. «Wir durften am 12. Juli 2000 unseren Sohn zum ersten Mal in die Arme nehmen.» Willkommen, kleiner Nils, willkommen im Leben. Claudio war ein zärtlicher Vater, einer, der seinen Sohn behütete, ihm jeden Stein aus dem Weg räumen wollte.


«Ich möchte nicht, dass ihr es aus den Medien erfahrt», schrieb Jana ihren Bekannten, «es fällt mir schwer, dieses Mail zu schreiben, aber es ist der am wenigsten schmerzhafte Weg, um euch die traurige Nachricht zu überbringen. Die Opfer der Explosion von Steffisburg sind Nils und Claudio, und ich bin unendlich traurig.»

Das Telefon klingelte ständig, Bekannte und Verwandte, Radio, Fernsehen, Zeitungen. Jana nahm nicht selber ab, Freunde waren bei ihr, beantworteten Fragen, erledigten das Nötigste. Die Ärztin verschrieb Psychopharmaka. «Steffisburger Wohnhaus explodiert», schrieb die Presse, «Verheerende Katastrophenbilanz: Drei Tote, neun Verletzte».
Am Montagabend fand in Steffisburg eine Trauerfeier statt, Blumen auf Schutt, eine Klagemauer aus Ziegelsteinen. Angehörige waren da, Dorfbewohner, Freunde, Helfer, ein Rudel Journalisten. Ein Pfarrer und die stellvertretende Gemeindepräsidentin sprachen zu fast 300 Anwesenden. «Gedenke, dass mein Leben nur ein Hauch ist», sagte der Pfarrer. Trauer um die Toten, um Vater und Sohn, um eine junge Frau, Mitgefühl mit den Verletzten und mit jenen, die Hab und Gut verloren hatten.


Nils war ein fröhlicher Junge, einer, der mit seinem Lachen die Menschen in seinen Bann zog, der früh und deutlich sprach, der alles wissen wollte, vor Phantasie übersprudelte. Es war ein Sonntag, Jana spazierte mit ihm im Wald, als die Sonne in schrägen Strahlen durch die Baumkronen fiel. «Schau, ein Sonnenbrunnen», sagte er. Oder seine Fragen zum kleinen Prinzen, immer wieder wollte er diese Geschichte hören. «Mama, warum hat der kleine Prinz so Heimweh nach den Sternen?» – «Weil genau da sein Stern ist, schau, jetzt kommt er wieder, vielleicht kann der kleine Prinz aufspringen, sonst muss er wieder lange warten.»

Jana genoss diese Momente mit Nils. Und hatte zunehmend das Gefühl, ihr Mann beneide sie um diese Einheit. Claudio, dessen Liebe seit der Geburt nur noch Nils galt, fühlte sich zurückgewiesen. Leise schlichen sich Nörgeleien ein. Als Jana Nils eine Figur aus Ton formte, sagte Claudio: «So zerstörst du seine Kreativität.» Jana: «Du zeichnest ihm doch auch Traktoren vor.» Claudio: «Das ist etwas anderes.» Sie machten sich gegenseitig Vorwürfe, immer wieder, immer lauter, längst ging es nicht mehr um Tonfiguren.
Dann war Claudio wieder niedergeschlagen, lebensmüde gar. Zweifelte an sich und der Welt, rauchte Gras, benebelte sich tagelang. Oder er geriet ausser sich vor Wut, zertrümmerte ein Velo, einen Stuhl. Momente des Jähzorns, Momente seiner inneren Verzweiflung. Danach zeigte er sich reuig, versprach, es nie wieder zu tun. Wie das Kiffen. Immer wieder wollte er davon loskommen. Und wenn er es nicht schaffte, sagte er: «Ohne zu kiffen, würde ich durchdrehen in dieser Welt. Andere brauchen Psychopharmaka, ich rauche meine Joints.» Jana focht diese Haltung an, immer öfter gab es heftigen Streit. Erst später, kurz vor der Trennung, kam Claudio vom Cannabis los.


«Gas ist schuld an der Explosion», meldete die Presse eine Woche nach dem Unglück, «ein zündfähiges Gas-Luft-Gemisch in einer Wohnung im ersten Stock hat zur Explosion des Hauses geführt.» Und: «Das Institut für Rechtsmedizin hat im Blut des Mannes und seines Sohnes Gas festgestellt, in jenem der Frau, die im oberen Stock wohnte, hingegen nicht. Alle drei Opfer haben bis zur Explosion gelebt. Die Behörden gehen davon aus, dass der Mann sich und seinen Sohn mit Propangas umbringen wollte.» Jana verschickte Todesanzeigen. «Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache.» Antoine de Saint Exupéry, schwarz auf hellem Gelb. «Wir sind unendlich traurig, dass dein Weg mit uns so kurz war, NILS. Deine Mama, deine Grosseltern und alle, die dich lieb haben.»

Der Briefkasten quoll über, Freunde schrieben, aber auch Unbekannte. Eine Frau, die im Frühling ihr Kind verloren hatte, schickte einen Schmetterling. In der Nacht vor der Beerdigung blitzte und donnerte es, am Morgen war der Himmel mit Wolken verhangen. Freunde kamen, Verwandte, Bekannte, Jana fühlte sich getragen, man weinte, sang, redete. Der Pressesprecher der Polizei war da, gab Acht, dass keine Journalisten störten. Jemand spielte Geige, die Menschen legten Federn, Blumen und Steine auf das Grab. Und dann brach plötzlich die Sonne aus den Wolken, ihr Licht fiel zu einem Strahl gebündelt auf das Grab. Sonnenbrunnen.


Ende April 2003. Das lang geplante Fest für Nils, ein schöner Frühlingstag im Wald ob Steffisburg. Viele Freunde kamen, Claudio legte einen Kreis mit Tulpen, man bastelte farbige Papiersterne, schrieb gute Wünsche hinein. Die Kinder spielten, Nils inmitten von ihnen, immer lachend, in der Hängematte, auf dem Waldboden, runde Backen, blonde Locken. Ein Fest voll Freude, doch tief in Jana sah es anders aus. Sie war aufgewühlt, fühlte sich verletzt, der ständige Streit, der sich mehr und mehr vor Nils abspielte, setzte ihr zu.

Mitte Mai packte sie ihre Sachen und ging. Nils nahm sie mit. Sie zog in einen Vorort von Bern, alter Wohnblock, dritter Stock, richtete die kleine Wohnung ein. «Willkommen!» schrieb sie an die Tür. Für Claudio brach eine Welt zusammen. Erst nach zwei Wochen trafen sie sich wieder, einigten sich, gemeinsam für Nils zu sorgen. Samstag bis Dienstag würde er bei Jana wohnen, Mittwoch bis Freitag bei Claudio, die Übergabe sollte jeweils morgens auf dem Bahnhof Thun oder Bern stattfinden.
Nils war in den ersten Tagen der Trennung quengelig, trotzte, wollte sich nicht mehr waschen. Bald schien er sich aber daran zu gewöhnen, dass es Mamatage und Papatage gab. Er zeichnete oft, einfacher Regenbogen, doppelter Regenbogen, kranker Regenbogen mit Pflaster drauf. Wollte Geschichten hören, Kleiner Prinz, Mond im Silbersee oder jene mit der Raupe, die zum Schmetterling wird. Und immer wieder fragte er nach dem Tod. «Das ist wie die Raupe, die sich verpuppt», sagte Jana, «dann geht ein Tor auf, und der Schmetterling fliegt davon. Er wird frei und lässt seine Hülle zurück.»


Die Trümmer wurden gesichtet. Jana erhielt, was noch ganz war: Kleider, Legosteine, das Fotoalbum mit angesengten Rändern, ein paar farbige Papiersterne mit guten Wünschen. Die Zeitungen rätselten, wie es zur Explosion kommen konnte. Welcher kleine Funke der Auslöser war, vielleicht das Betätigen eines Lichtschalters, jenes einer Türglocke.

Dann wurde Claudio beerdigt, im Dorf seiner Eltern. Jana ging hin, legte eine Rose ins Grab. «Zerstört», schrieb sie in ihr Tagebuch, «das Haus in Trümmern, verdreckt, versunken auch die Illusionen von Versöhnung hier und irgendwann, von Frieden mit dir, zerstört auch Hoffnung auf Wandlung und Heilung unserer Beziehung, zerstört, ja doch nur hier und jetzt und nicht für immer, das Ende, neuem Anfang gleich, steigt Phönix aus der Asche auf, immer wieder neu, die Spirale dreht weiter, immer, ewig, spricht von Liebe, Friede, Verzeihen.»
Doch die Wut kam immer wieder, die Wut auf Claudio, der ihr das Liebste genommen hatte, aus seiner Verzweiflung heraus, aus seiner Hoffnungslosigkeit. Vielleicht hatte er durch den gemeinsamen Tod zu Nils eine immer währende Beziehung herstellen wollen, die ihm im Leben unerreichbar schien. Jana machte sich Vorwürfe: Wenn ich nur hingegangen wäre, dann hätte ich es verhindern können! Das Gefühl von Ohnmacht, und immer dieselbe Frage: Warum, warum nur musste das geschehen? Sie quälte sich, trieb sich fast in den Wahnsinn. Die Sozialarbeiterin der Opferhilfe stand ihr bei, vermittelte Psychotherapie und Anwältin, regelte Versicherungsfragen.


Dienstag, 8. Juli 2003. Jana brachte Nils zum Bahnhof. «Ich gehe am Samstag mit Nils zu meinen Eltern, wir wollen Geburtstag feiern», sagte Claudio. «Kommst du auch?» Jana wollte nicht. Sie wäre sich vorgekommen, als würde sie etwas vorgaukeln, eine intakte Ehe, ein trautes Familienleben. Aber das war schon lange nicht mehr.

Sie einigten sich, die Übergabe am Samstag vom Morgen auf den Nachmittag zu verschieben, 16.14 Zug in Thun. Claudio würde aussteigen, Jana zu Nils einsteigen und mit ihm nach Bern fahren. Jana hob Nils hoch, drückte ihn an sich, «Tschüss, mein Kleiner, ich habe dich lieb.» In den nächsten Tagen besuchte sie einen Kurs für allein erziehende Mütter, schrieb Bewerbungen, denn sie wollte wieder eine Stelle annehmen.
Am Donnerstag bestellte Claudio bei der Landwirtschaftlichen Genossenschaft Steffisburg drei Flaschen Flüssiggas. Campinggas, ein Propan-Butan-Gemisch in 10,5-Kilogramm-Behältern, in hoher Dosis leicht narkotisierend. Er bestand darauf, die Ware am Freitag geliefert zu bekommen, er brauche sie für ein grosses Fest. Die Landi lieferte, obschon Freitag kein Liefertag war, Claudio bezahlte bar.


Jana stürzte sich in die Arbeit, funktionieren wollte sie, möglichst schnell alles wieder in den Griff kriegen, die Trauerzeit abkürzen. Nicht spüren müssen, wie sinnentleert das Leben nun war. Sie arbeitete in einer Eingliederungsstätte für psychisch Kranke, sprach nicht über ihre Geschichte, wollte nirgends Mitleid erregen.

Weiter, immer weiter, stark sein, sich nichts anmerken lassen. Eines Tages brach sie zusammen, konnte sich noch nach Hause schleppen, blieb auf dem Sofa liegen. Sie hatte keine Kraft mehr, nur noch Sehnsucht nach Nils, glaubte, ohne ihn nicht weiterleben zu können.
Irgendwann rief sie eine Freundin an, vertraute Menschen kamen, man redete und weinte. Jana nahm die Hilfe an, lernte, schwach zu sein. Sie fand eine Selbsthilfegruppe für Eltern, die ein Kind verloren haben, Austausch an einem Abend pro Monat. Jana ging hin, fand etwas Halt in einer Gruppe von Menschen, die Ähnliches erlebt hatten.


Samstag, 12. Juli 2003. Perron 2 in Thun, der Zug fuhr ein, spuckte Menschen aus, saugte andere ein. Jana schaute sich um, nach allen Seiten, Claudio und Nils waren nirgends. Sie beschloss, einzusteigen, dachte, sicher sind sie irgendwo da drin. Der Zug war voll, Jana ging auf und ab. «Kommt dieser Zug wirklich von Interlaken?» fragte sie. «Ja», tönte es. Sie suchte weiter, vergeblich. Sie fuhr nach Hause, rief die Schwiegereltern an. Claudio habe sich abgemeldet, sagten diese, schon am Freitag, er habe gesagt, er und Nils seien krank.

Jana telefonierte sämtlichen Freunden, doch niemand konnte helfen. Und immer wieder wählte sie Claudios Nummer, sprach auf das Bändchen, einmal drohend, einmal bittend. Keine Antwort. Sie rief Claudios Nachbarin an, man höre nichts, sagte diese, die Fenster seien geschlossen, der Kinderwagen stehe nicht beim Eingang, sie seien wohl weggegangen. Janas Freundin kam, sie hatten abgemacht, gemeinsam mit Nils Geburtstag zu feiern. Sonnenblumen standen auf dem Tisch, eine Schatztruhe mit Muscheln, ein gebastelter Zwerg. Dann alarmierte Jana die Polizei. Sie vermutete, Claudio habe Nils kurzfristig entführt, vielleicht in die Alphütte im Graubünden oder nach Sundlauenen, ja, vielleicht waren sie dort am Thunersee, an jenem Plätzchen, wo sie früher oft gebadet hatten.


November 2003. Jana reiste ins Appenzellische, besuchte ein Trauerseminar. Vier Tage intensive Arbeit, die Anleitung, «lebensfeindliche in lebensfördernde Trauer» zu verwandeln. Den Mut finden, loszulassen, über den Tod seines Kindes zu sprechen, es auszuhalten, vor anderen zu weinen. Zu erfahren, dass Verlust das Leben tief macht, dass alles «abschiedlich» ist. Jana realisierte, dass Nils sie dort, wo er jetzt war, nicht mehr brauchte. Es schien ihr, als mache er ihr Mut, die Schönheit dieser Erde zu sehen, weiterzuleben.

Eine Woche später flog sie in den Süden, der Sonne zu, Lanzarote, zwei Wochen in einem Kurhaus. In jener Zeit spürte sie, dass sie Claudio würde verzeihen können. Irgendwann. Das Leben ging weiter. Manchmal besser, manchmal schlechter. Die erste Weihnacht ohne Nils, der erste Silvester. Viele Menschen schrieben Karten, auch die Fahnder: «Unfassbares hat uns in diesem Jahr zusammengeführt. Wir wünschen Ihnen Mut und Kraft für das neue Jahr.»


Janas Freundin blieb, und irgendwann, nach durchgeredeten Stunden und zwanzig Zigaretten, gingen sie zu Bett. Kurz nach Mitternacht klingelte es, zwei Fahnder standen vor der Tür, Kriminalpolizei. Man setzte sich an den Küchentisch, Jana begann zu erzählen, sprach von Claudios depressiven Verstimmungen, hoffte, sie würden ihn, wenn sie ihn fänden, nicht zu hart anpacken.

Die Fahnder sahen sich an. «Haben Sie nichts von der Explosion in Steffisburg gehört?» fragte der eine. Nein, Jana hatte die Meldung im Radio nicht gehört, dass um 20.45 in Steffisburg ein Wohnhaus mit sieben Wohnungen von einer Explosion völlig zerstört worden war. Die Fahnder wählten ihre Worte sorgfältig, liessen sich Fotos von Nils und Claudio geben, Adressen von Freunden und Verwandten. Jana fühlte sich leer, konnte weder weinen noch schlafen.
Um halb sechs kehrten die Fahnder zurück, mit ihnen ein Notfallseelsorger. Sie setzten sich an den Tisch, der Seelsorger redete von der Explosion, Jana heulte, er redete vom Moment, als Nils und Claudio gefunden wurden, sie heulte, er redete, sie heulte. Wie gut, dass er immer redete, diese Stille hätte sie nicht ertragen, diese Leere. Irgendwann hörte sie, Nils habe ein Leibchen getragen und rote Strumpfhosen, als sie ihn fanden. Jana fühlte sich erleichtert, dann war er also im Bett, dachte sie, die Strumpfhosen, damit das Windelpack nicht verrutscht, das hatten sie immer so gemacht, dann hat er also geschlafen, Gott sei Dank, er hat geschlafen.


Vor wenigen Wochen schickte die Anwältin einen Bericht des Instituts für Gerichtsmedizin, Abteilung forensische Chemie und forensische Medizin. Chemisch-toxikologische Analysen und Obduktion von Claudio. Jana stellte sich den Fakten, nahm Einsicht in den abschliessenden Bericht. Nur jenen von Nils wollte sie nicht lesen, den hätte sie nicht ertragen. Sie setzte sich, blätterte in Resultaten und Diagnosen. Sie las, die Analysen an der Gallenprobe hätten bewiesen, dass Claudio Cannabis-Konsument gewesen sei. Und: «Das positive Resultat auf THC im Blut und das negative Resultat auf das Stoffwechselprodukt THC-Säure lassen den Schluss zu, dass Claudio B. kurz nach Beginn des Rauchens eines Cannabis-Joints an den Folgen der Explosion verstarb.»

Jana legte den Bericht in den Ordner, zu Protokollen und Zeitungsausschnitten, klappte den Deckel zu. Nahm ihr Tagebuch und schrieb: «Auch wenn du jetzt dort bist und ich hier, Erinnerungen, unser Band, ein Band der Illusionen nur, doch die Liebe ist ewig.»

*Alle Namen geändert.
(Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion 'Kleiner Bund')