Er wollte
sterben, aber nicht allein. Wenn die Verzweiflung so gross wird,
dass ein Vater sein Kind in den Tod mitnimmt. Und damit einem
anderen Menschen das Liebste nimmt. Doch das Leben muss
weitergehen. Irgendwie. Die Geschichte einer Mutter, die ihr Kind
verlor.
Regula Tanner (Text), Adrian Moser (Bilder)
Da lag es, das tote Kind, kleiner Körper hinter Glas. Es war
ein Nachmittag im Juli 2003, 30 Grad am Schatten, schwül die Luft
im Raum des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Bern.
Doch Jana* fröstelte. Sie trat an die Scheibe, die Hände in
jenen ihrer Freundinnen. Blickte auf Nils, auf drei Jahre
Lebensinhalt. Da lag er, verbranntes Gesicht, struppiges Haar, am
Abend seines dritten Geburtstags von der Wucht des explodierenden
Gases in den Tod gerissen. Die Fahnder warteten draussen im Gang,
gingen schweigend auf und ab. G., selber Vater zweier kleiner
Kinder, hätte den Anblick des toten Jungen nicht ertragen.
•
November 1999. «Lass es wegmachen», sagte Claudio,«man sollte
keine Kinder in diese schreckliche Welt setzen.» Da war sie
wieder, seine Angst vor dem Leben. Doch Jana wollte das Kind, sie
war im ersten Monat schwanger. «Dann ziehe ich es alleine auf»,
sagte Jana. «Nein, man darf dieses Leben keinem Kind zumuten»,
sagte Claudio. Diskussionen über Zukunft und Lebenssinn, sie
zogen sich über Wochen hin. Irgendwann, es war Winter geworden,
entschied sich Claudio für das Kind.
Von da an sorgte er für seine schwangere
Frau, trug sie auf Händen, nahm ihr, als der Bauch rund und
runder wurde, alles ab. Die Hausgeburt dauerte elf Stunden, es war
ein dunstiger Sommertag. «NILS, ein grosses Geschenk!» hiess es
auf der Geburtsanzeige. Gebastelte Sonnenblume auf blauem Papier.
«Wir durften am 12. Juli 2000 unseren Sohn zum ersten Mal in die
Arme nehmen.» Willkommen, kleiner Nils, willkommen im Leben.
Claudio war ein zärtlicher Vater, einer, der seinen Sohn behütete,
ihm jeden Stein aus dem Weg räumen wollte.
•
«Ich möchte nicht, dass ihr es aus den Medien erfahrt», schrieb
Jana ihren Bekannten, «es fällt mir schwer, dieses Mail zu
schreiben, aber es ist der am wenigsten schmerzhafte Weg, um euch
die traurige Nachricht zu überbringen. Die Opfer der Explosion
von Steffisburg sind Nils und Claudio, und ich bin unendlich
traurig.»
Das Telefon klingelte ständig, Bekannte
und Verwandte, Radio, Fernsehen, Zeitungen. Jana nahm nicht selber
ab, Freunde waren bei ihr, beantworteten Fragen, erledigten das Nötigste.
Die Ärztin verschrieb Psychopharmaka. «Steffisburger Wohnhaus
explodiert», schrieb die Presse, «Verheerende
Katastrophenbilanz: Drei Tote, neun Verletzte».
Am Montagabend fand in Steffisburg eine Trauerfeier statt, Blumen
auf Schutt, eine Klagemauer aus Ziegelsteinen. Angehörige waren
da, Dorfbewohner, Freunde, Helfer, ein Rudel Journalisten. Ein
Pfarrer und die stellvertretende Gemeindepräsidentin sprachen zu
fast 300 Anwesenden. «Gedenke, dass mein Leben nur ein Hauch ist»,
sagte der Pfarrer. Trauer um die Toten, um Vater und Sohn, um eine
junge Frau, Mitgefühl mit den Verletzten und mit jenen, die Hab
und Gut verloren hatten.
•
Nils war ein fröhlicher Junge, einer, der mit seinem Lachen die
Menschen in seinen Bann zog, der früh und deutlich sprach, der
alles wissen wollte, vor Phantasie übersprudelte. Es war ein
Sonntag, Jana spazierte mit ihm im Wald, als die Sonne in schrägen
Strahlen durch die Baumkronen fiel. «Schau, ein Sonnenbrunnen»,
sagte er. Oder seine Fragen zum kleinen Prinzen, immer wieder
wollte er diese Geschichte hören. «Mama, warum hat der kleine
Prinz so Heimweh nach den Sternen?» – «Weil genau da sein
Stern ist, schau, jetzt kommt er wieder, vielleicht kann der
kleine Prinz aufspringen, sonst muss er wieder lange warten.»
Jana genoss diese Momente mit Nils. Und
hatte zunehmend das Gefühl, ihr Mann beneide sie um diese
Einheit. Claudio, dessen Liebe seit der Geburt nur noch Nils galt,
fühlte sich zurückgewiesen. Leise schlichen sich Nörgeleien
ein. Als Jana Nils eine Figur aus Ton formte, sagte Claudio: «So
zerstörst du seine Kreativität.» Jana: «Du zeichnest ihm doch
auch Traktoren vor.» Claudio: «Das ist etwas anderes.» Sie
machten sich gegenseitig Vorwürfe, immer wieder, immer lauter, längst
ging es nicht mehr um Tonfiguren.
Dann war Claudio wieder niedergeschlagen, lebensmüde gar.
Zweifelte an sich und der Welt, rauchte Gras, benebelte sich
tagelang. Oder er geriet ausser sich vor Wut, zertrümmerte ein
Velo, einen Stuhl. Momente des Jähzorns, Momente seiner inneren
Verzweiflung. Danach zeigte er sich reuig, versprach, es nie
wieder zu tun. Wie das Kiffen. Immer wieder wollte er davon
loskommen. Und wenn er es nicht schaffte, sagte er: «Ohne zu
kiffen, würde ich durchdrehen in dieser Welt. Andere brauchen
Psychopharmaka, ich rauche meine Joints.» Jana focht diese
Haltung an, immer öfter gab es heftigen Streit. Erst später,
kurz vor der Trennung, kam Claudio vom Cannabis los.
•
«Gas ist schuld an der Explosion», meldete die Presse eine Woche
nach dem Unglück, «ein zündfähiges Gas-Luft-Gemisch in einer
Wohnung im ersten Stock hat zur Explosion des Hauses geführt.»
Und: «Das Institut für Rechtsmedizin hat im Blut des Mannes und
seines Sohnes Gas festgestellt, in jenem der Frau, die im oberen
Stock wohnte, hingegen nicht. Alle drei Opfer haben bis zur
Explosion gelebt. Die Behörden gehen davon aus, dass der Mann
sich und seinen Sohn mit Propangas umbringen wollte.» Jana
verschickte Todesanzeigen. «Wenn du bei Nacht den Himmel
anschaust, wird es sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf
einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache.»
Antoine de Saint Exupéry, schwarz auf hellem Gelb. «Wir sind
unendlich traurig, dass dein Weg mit uns so kurz war, NILS. Deine
Mama, deine Grosseltern und alle, die dich lieb haben.»
Der Briefkasten quoll über, Freunde
schrieben, aber auch Unbekannte. Eine Frau, die im Frühling ihr
Kind verloren hatte, schickte einen Schmetterling. In der Nacht
vor der Beerdigung blitzte und donnerte es, am Morgen war der
Himmel mit Wolken verhangen. Freunde kamen, Verwandte, Bekannte,
Jana fühlte sich getragen, man weinte, sang, redete. Der
Pressesprecher der Polizei war da, gab Acht, dass keine
Journalisten störten. Jemand spielte Geige, die Menschen legten
Federn, Blumen und Steine auf das Grab. Und dann brach plötzlich
die Sonne aus den Wolken, ihr Licht fiel zu einem Strahl gebündelt
auf das Grab. Sonnenbrunnen.
•
Ende April 2003. Das lang geplante Fest für Nils, ein schöner Frühlingstag
im Wald ob Steffisburg. Viele Freunde kamen, Claudio legte einen
Kreis mit Tulpen, man bastelte farbige Papiersterne, schrieb gute
Wünsche hinein. Die Kinder spielten, Nils inmitten von ihnen,
immer lachend, in der Hängematte, auf dem Waldboden, runde
Backen, blonde Locken. Ein Fest voll Freude, doch tief in Jana sah
es anders aus. Sie war aufgewühlt, fühlte sich verletzt, der ständige
Streit, der sich mehr und mehr vor Nils abspielte, setzte ihr zu.
Mitte Mai packte sie ihre Sachen und ging.
Nils nahm sie mit. Sie zog in einen Vorort von Bern, alter
Wohnblock, dritter Stock, richtete die kleine Wohnung ein. «Willkommen!»
schrieb sie an die Tür. Für Claudio brach eine Welt zusammen.
Erst nach zwei Wochen trafen sie sich wieder, einigten sich,
gemeinsam für Nils zu sorgen. Samstag bis Dienstag würde er bei
Jana wohnen, Mittwoch bis Freitag bei Claudio, die Übergabe
sollte jeweils morgens auf dem Bahnhof Thun oder Bern stattfinden.
Nils war in den ersten Tagen der Trennung quengelig, trotzte,
wollte sich nicht mehr waschen. Bald schien er sich aber daran zu
gewöhnen, dass es Mamatage und Papatage gab. Er zeichnete oft,
einfacher Regenbogen, doppelter Regenbogen, kranker Regenbogen mit
Pflaster drauf. Wollte Geschichten hören, Kleiner Prinz, Mond im
Silbersee oder jene mit der Raupe, die zum Schmetterling wird. Und
immer wieder fragte er nach dem Tod. «Das ist wie die Raupe, die
sich verpuppt», sagte Jana, «dann geht ein Tor auf, und der
Schmetterling fliegt davon. Er wird frei und lässt seine Hülle
zurück.»
•
Die Trümmer wurden gesichtet. Jana erhielt, was noch ganz war:
Kleider, Legosteine, das Fotoalbum mit angesengten Rändern, ein
paar farbige Papiersterne mit guten Wünschen. Die Zeitungen rätselten,
wie es zur Explosion kommen konnte. Welcher kleine Funke der Auslöser
war, vielleicht das Betätigen eines Lichtschalters, jenes einer Türglocke.
Dann wurde Claudio beerdigt, im Dorf seiner
Eltern. Jana ging hin, legte eine Rose ins Grab. «Zerstört»,
schrieb sie in ihr Tagebuch, «das Haus in Trümmern, verdreckt,
versunken auch die Illusionen von Versöhnung hier und irgendwann,
von Frieden mit dir, zerstört auch Hoffnung auf Wandlung und
Heilung unserer Beziehung, zerstört, ja doch nur hier und jetzt
und nicht für immer, das Ende, neuem Anfang gleich, steigt Phönix
aus der Asche auf, immer wieder neu, die Spirale dreht weiter,
immer, ewig, spricht von Liebe, Friede, Verzeihen.»
Doch die Wut kam immer wieder, die Wut auf Claudio, der ihr das
Liebste genommen hatte, aus seiner Verzweiflung heraus, aus seiner
Hoffnungslosigkeit. Vielleicht hatte er durch den gemeinsamen Tod
zu Nils eine immer währende Beziehung herstellen wollen, die ihm
im Leben unerreichbar schien. Jana machte sich Vorwürfe: Wenn ich
nur hingegangen wäre, dann hätte ich es verhindern können! Das
Gefühl von Ohnmacht, und immer dieselbe Frage: Warum, warum nur
musste das geschehen? Sie quälte sich, trieb sich fast in den
Wahnsinn. Die Sozialarbeiterin der Opferhilfe stand ihr bei,
vermittelte Psychotherapie und Anwältin, regelte
Versicherungsfragen.
•
Dienstag, 8. Juli 2003. Jana brachte Nils zum Bahnhof. «Ich gehe
am Samstag mit Nils zu meinen Eltern, wir wollen Geburtstag feiern»,
sagte Claudio. «Kommst du auch?» Jana wollte nicht. Sie wäre
sich vorgekommen, als würde sie etwas vorgaukeln, eine intakte
Ehe, ein trautes Familienleben. Aber das war schon lange nicht
mehr.
Sie einigten sich, die Übergabe am Samstag
vom Morgen auf den Nachmittag zu verschieben, 16.14 Zug in Thun.
Claudio würde aussteigen, Jana zu Nils einsteigen und mit ihm
nach Bern fahren. Jana hob Nils hoch, drückte ihn an sich, «Tschüss,
mein Kleiner, ich habe dich lieb.» In den nächsten Tagen
besuchte sie einen Kurs für allein erziehende Mütter, schrieb
Bewerbungen, denn sie wollte wieder eine Stelle annehmen.
Am Donnerstag bestellte Claudio bei der Landwirtschaftlichen
Genossenschaft Steffisburg drei Flaschen Flüssiggas. Campinggas,
ein Propan-Butan-Gemisch in 10,5-Kilogramm-Behältern, in hoher
Dosis leicht narkotisierend. Er bestand darauf, die Ware am
Freitag geliefert zu bekommen, er brauche sie für ein grosses
Fest. Die Landi lieferte, obschon Freitag kein Liefertag war,
Claudio bezahlte bar.
•
Jana stürzte sich in die Arbeit, funktionieren wollte sie, möglichst
schnell alles wieder in den Griff kriegen, die Trauerzeit abkürzen.
Nicht spüren müssen, wie sinnentleert das Leben nun war. Sie
arbeitete in einer Eingliederungsstätte für psychisch Kranke,
sprach nicht über ihre Geschichte, wollte nirgends Mitleid
erregen.
Weiter, immer weiter, stark sein, sich
nichts anmerken lassen. Eines Tages brach sie zusammen, konnte
sich noch nach Hause schleppen, blieb auf dem Sofa liegen. Sie
hatte keine Kraft mehr, nur noch Sehnsucht nach Nils, glaubte,
ohne ihn nicht weiterleben zu können.
Irgendwann rief sie eine Freundin an, vertraute Menschen kamen,
man redete und weinte. Jana nahm die Hilfe an, lernte, schwach zu
sein. Sie fand eine Selbsthilfegruppe für Eltern, die ein Kind
verloren haben, Austausch an einem Abend pro Monat. Jana ging hin,
fand etwas Halt in einer Gruppe von Menschen, die Ähnliches
erlebt hatten.
•
Samstag, 12. Juli 2003. Perron 2 in Thun, der Zug fuhr ein,
spuckte Menschen aus, saugte andere ein. Jana schaute sich um,
nach allen Seiten, Claudio und Nils waren nirgends. Sie beschloss,
einzusteigen, dachte, sicher sind sie irgendwo da drin. Der Zug
war voll, Jana ging auf und ab. «Kommt dieser Zug wirklich von
Interlaken?» fragte sie. «Ja», tönte es. Sie suchte weiter,
vergeblich. Sie fuhr nach Hause, rief die Schwiegereltern an.
Claudio habe sich abgemeldet, sagten diese, schon am Freitag, er
habe gesagt, er und Nils seien krank.
Jana telefonierte sämtlichen Freunden,
doch niemand konnte helfen. Und immer wieder wählte sie Claudios
Nummer, sprach auf das Bändchen, einmal drohend, einmal bittend.
Keine Antwort. Sie rief Claudios Nachbarin an, man höre nichts,
sagte diese, die Fenster seien geschlossen, der Kinderwagen stehe
nicht beim Eingang, sie seien wohl weggegangen. Janas Freundin
kam, sie hatten abgemacht, gemeinsam mit Nils Geburtstag zu
feiern. Sonnenblumen standen auf dem Tisch, eine Schatztruhe mit
Muscheln, ein gebastelter Zwerg. Dann alarmierte Jana die Polizei.
Sie vermutete, Claudio habe Nils kurzfristig entführt, vielleicht
in die Alphütte im Graubünden oder nach Sundlauenen, ja,
vielleicht waren sie dort am Thunersee, an jenem Plätzchen, wo
sie früher oft gebadet hatten.
•
November 2003. Jana reiste ins Appenzellische, besuchte ein
Trauerseminar. Vier Tage intensive Arbeit, die Anleitung, «lebensfeindliche
in lebensfördernde Trauer» zu verwandeln. Den Mut finden,
loszulassen, über den Tod seines Kindes zu sprechen, es
auszuhalten, vor anderen zu weinen. Zu erfahren, dass Verlust das
Leben tief macht, dass alles «abschiedlich» ist. Jana
realisierte, dass Nils sie dort, wo er jetzt war, nicht mehr
brauchte. Es schien ihr, als mache er ihr Mut, die Schönheit
dieser Erde zu sehen, weiterzuleben.
Eine Woche später flog sie in den Süden,
der Sonne zu, Lanzarote, zwei Wochen in einem Kurhaus. In jener
Zeit spürte sie, dass sie Claudio würde verzeihen können.
Irgendwann. Das Leben ging weiter. Manchmal besser, manchmal
schlechter. Die erste Weihnacht ohne Nils, der erste Silvester.
Viele Menschen schrieben Karten, auch die Fahnder: «Unfassbares
hat uns in diesem Jahr zusammengeführt. Wir wünschen Ihnen Mut
und Kraft für das neue Jahr.»
•
Janas Freundin blieb, und irgendwann, nach durchgeredeten Stunden
und zwanzig Zigaretten, gingen sie zu Bett. Kurz nach Mitternacht
klingelte es, zwei Fahnder standen vor der Tür, Kriminalpolizei.
Man setzte sich an den Küchentisch, Jana begann zu erzählen,
sprach von Claudios depressiven Verstimmungen, hoffte, sie würden
ihn, wenn sie ihn fänden, nicht zu hart anpacken.
Die Fahnder sahen sich an. «Haben Sie
nichts von der Explosion in Steffisburg gehört?» fragte der
eine. Nein, Jana hatte die Meldung im Radio nicht gehört, dass um
20.45 in Steffisburg ein Wohnhaus mit sieben Wohnungen von einer
Explosion völlig zerstört worden war. Die Fahnder wählten ihre
Worte sorgfältig, liessen sich Fotos von Nils und Claudio geben,
Adressen von Freunden und Verwandten. Jana fühlte sich leer,
konnte weder weinen noch schlafen.
Um halb sechs kehrten die Fahnder zurück, mit ihnen ein
Notfallseelsorger. Sie setzten sich an den Tisch, der Seelsorger
redete von der Explosion, Jana heulte, er redete vom Moment, als
Nils und Claudio gefunden wurden, sie heulte, er redete, sie
heulte. Wie gut, dass er immer redete, diese Stille hätte sie
nicht ertragen, diese Leere. Irgendwann hörte sie, Nils habe ein
Leibchen getragen und rote Strumpfhosen, als sie ihn fanden. Jana
fühlte sich erleichtert, dann war er also im Bett, dachte sie,
die Strumpfhosen, damit das Windelpack nicht verrutscht, das
hatten sie immer so gemacht, dann hat er also geschlafen, Gott sei
Dank, er hat geschlafen.
•
Vor wenigen Wochen schickte die Anwältin einen Bericht des
Instituts für Gerichtsmedizin, Abteilung forensische Chemie und
forensische Medizin. Chemisch-toxikologische Analysen und
Obduktion von Claudio. Jana stellte sich den Fakten, nahm Einsicht
in den abschliessenden Bericht. Nur jenen von Nils wollte sie
nicht lesen, den hätte sie nicht ertragen. Sie setzte sich, blätterte
in Resultaten und Diagnosen. Sie las, die Analysen an der
Gallenprobe hätten bewiesen, dass Claudio Cannabis-Konsument
gewesen sei. Und: «Das positive Resultat auf THC im Blut und das
negative Resultat auf das Stoffwechselprodukt THC-Säure lassen
den Schluss zu, dass Claudio B. kurz nach Beginn des Rauchens
eines Cannabis-Joints an den Folgen der Explosion verstarb.»
Jana legte den Bericht in den Ordner, zu
Protokollen und Zeitungsausschnitten, klappte den Deckel zu. Nahm
ihr Tagebuch und schrieb: «Auch wenn du jetzt dort bist und ich
hier, Erinnerungen, unser Band, ein Band der Illusionen nur, doch
die Liebe ist ewig.»
*Alle Namen geändert.
(Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion 'Kleiner
Bund')
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